Pflanzen der Region

Pflanzen der Region

Ein bedrohtes Kleinod: Orlaya grandiflora, das Heidenheimer Edelweiß

Die Schloßblume «Orlaya grandiflora» färbte einst den Schloßberg weiß und kommt heute nur noch geschützt in Gärten vor.
Sie ist bedroht, nicht nur in Heidenheim: Die «Orlaya grandiflora», zu deutsch Breitsame oder Strahldolde genannt, steht auf der Roten Liste der verschollenen und gefährdeten Pflanzen Baden-Württembergs. Verschollen ist sie in Heidenheim noch nicht, ein kleiner Kreis botanisch und geschichtlich interessierter Menschen hegt die Blume in Gärten und gibt den Samen weiter. Früher hatte die einjährige Pflanze in Heidenheim beeindruckende Auftritte: Als «Schloßblume» bekannt, färbte sie in günstigen Jahren den ganzen östlichen Hang unterhalb von Schloß Hellenstein im Juni und Juli weiß.
Den größten lokalen Beitrag zur Bekanntheit der 1814 vom Botaniker Hoffmann kategorisierten Pflanze leistete der Heidenheimer Ernst Staudenmaier, der in einem mehrfach publizierten Text über die Schloßblume allerlei Fakten und bis dahin nur mündlich überlieferte Geschichten zusammentrug. Einen Platz in der Literatur fand das Gewächs in Ludwig Finckhs Roman «Die Kaiserin, der König und ihr Offizier». Darin erzählt er die Lebensgeschichte des Heidenheimnerr Kürschnerbuben Jophann Jakob Wunsch, der bis zum General von Friedrich II. aufstieg. Auch Karl Götz erwähnt die Pflanze in seinem Buch «Der goldene Morgen».
Was ist Besonderes an diesem einjährigen Gewächs, das sich von anderen Doldengewächsen wie der weit verbreiteten Wilden Möhre oder dem Wiesenkerbel am augenfälligsten durch ihre großen äußeren Kronblätter unterscheidet? An Spitzendeckchen erinnere die zarte Blüte, schwärmen Liebhaber der Pflanze. Sie wird auch das «Heidenheimer Edelweiß» genannt, und da kommt man dem Reiz der Orlaya grandiflora dann doch etwa näher: Die Pflanze ist einfach selten, vor allem in Deutschland findet man sie nur in wenigen Gegenden. Das mag zum einen damit zu tun haben, daß sie nur auf Kalk- und Mergelböden gut gedeiht, zum anderen mit ihrem Wärmebedürfnis zusammenhängen. Orlaya grandiflora stammt aus Südeuropa.
Darüber, wie die Pflanze über die Alpen bis nach Süddeutschland kam, kann man nur spekulieren. Möglicherweise im Gepäck von Menschen, denn die Pflanze ist weniger als Gartenblume denn als Ackerunkraut bekannt und könnte ihren Samen zwischen Getreidekörner geschmuggelt haben.
Dokumentiert ist ein massenhaftes Auftreten der Blume am Weißen Jura des Heidenheimer Schloßfelsens im Jahre 1912. Für die «Blätter des Schwäbischen Albvereins» schrieb im November 1912 der Heidenheimer Oberreallehrer Kreh einen Artikel über dieses Phänomen, das auch mit Fotos vom weiß leuchtenden Hang belegt ist. Darin heißt es:
«Am Steilhang des Schloßberges trat eine unserer schönsten Doldenpflanzen, die Strahldolde (Orlaya grandiflora) in solcher Menge auf, daß, als sich die Blüten Mitte Juni öffneten, der ganze Hang einen prachtvollen, weißen Blütenteppich darstellte, der wochenlang in unveränderter Schönheit bewundert werden konnte. Die Veränderung des Landschaftsbildes war eine so starke, daß sie auch dem Laienauge von der Heidenheimer Hauptstraße aus ohne Weiteres auffallen mußte».
Für den Autor ist dieses Phänomen zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwas völlig Neues, und er hat sich auch bei älteren Heidenheimern umgehört:
«Das merkwürdige an dieser Erscheinung ist, daß niemals ein ähnlich massenhaftes Auftreten beobachtet wurde. Die 'ältesten Leute' der am Fuß des Berges liegenden Häuser behaupten nicht nur, etwas Derasrtiges noch nie gesehen zu haben, sondern versichern sogar, daß die Pflanze zum allerersten Male an diesem Platz erschienen sei».
In den Gärten am Schloßberg habe es die Pflanze aber schon mindestens zehn Jahre zuvor gegeben – es scheint also wahrscheinlich, daß die Pflanze, begünstigt durch einen milden Winter und einen darauf folgenden warmen Sommer, in Massen ausgewildert ist.
Für kein früheres Jahr ist ein üppiges Auftreten der Orlaya grandiflora in Heidenheim dokumentiert. Der Glaube, die Pflanze gedeihe schon seit mindestens zwei Jahrhunderten in Heidenheim, wurde hauptsächlich durch Ludwig Finckhs Roman bestärkt, der die Schloßblume bereits zur Zeit Johann Jakob Wunschs aufblühen läßt. Eine Geschichte, die Ernst Staudenmaier in seinen Aufzeichnungen erzählt, besagt, eine italienische Prinzessin, die zu Besuch auf Schloß Hellenstein weilte, habe die Orlaya in einem Blumenstrauß aus ihrer Heimat mitgebracht. Eine Magd soll den verblühten Strauß über die Mauer geworfen haben, wo die Blume dann aussamte. Diese Erklärung für das Auftreteen der Pflanze am steilen Schloßfelden darf wohl ins Reich der Sagen und Spekulationen verwiesen werden. Es gibt keine Quelle, die die Geschichte mit einer historischen Begebenheit verknüpft.
Flieder, Ahorn und Holunder haben den Schloßhang erobert und machen es der Schloßblume unmöglich, dort zu gedeihen.
In vielen Gärten der Stadt Heidenheim hat die Orlaya grandiflora eine Zuflucht gefunden. Im Rudolf-Steiner-Garten auf dem Voith-Gelände wächst die Pflanze genau so wie in den Gärten An der Zeppelinstraße oder Im Flügel. Die Samen werden weitergereicht, die Geschichten, die sich um das Pflänzchen ranken, weitererzählt. Auch wenn vieles, was erzählt wird, schlichtweg vom Volksmund ausgeschmückt oder gar erfunden wurde, zählt die Schloßblume doch zu den lokalen Besonderheiten der Stadt Heidenheim und hätte ihren Platz auf der Landesgartenschau 2006 oder eine Schautafel auf Schloß Hellenstein sicherlich verdient.
Silja Kummer, Heidenheimer Sonntagszeitung

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